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Die taz gratuliert Ein Aktivist mit Herz und Seele

Christian Specht kämpft unermüdlich für mehr Sichtbarkeit von Menschen mit Beeinträchtigung. Nun wird sein Engagement mit der Berliner Ehrennadel gewürdigt.

Christian Specht, Präsident des Behindertenparlaments, im Plenarsaal des Abgeordnetenhauses Foto: Toni Petraschk

Aus der taz | Christian Specht ist der nervigste Mitarbeiter der taz und gleichzeitig der mit dem größten Herzen, der schönsten Seele, der lautesten Meinung, den buntesten Stiften und dem einzigen Arbeitsplatz mitten im großen Konferenzraum unserer Zeitung.

Der 1969 in Berlin geborene Lebenskünstler ist Rekordhalter in Vereinsgründungen und Mitgliedschaften – jedenfalls mindestens unter den taz-Mitarbeiter*innen.

„Da muss man doch was machen“

Und nervig ist er deswegen, weil er täglich Re­dak­teu­r*in­nen darum bittet, eine Petition für ihn zu verfassen, eine Unterschriftenliste auszudrucken oder sie lautstark auffordert, über irgendeine politische Ungerechtigkeit nicht länger zu schweigen: „Das geht so nicht. Da muss man doch was machen.“

Christian Specht ist seit Jahrzehnten das, was heute ein Berufsfeld geworden ist: Aktivist.

Während sich heute Menschen mit dem Label „Aktivist*in“ schmücken, die damit lediglich meinen, dass sie gut bezahlte Vorträge über Diskriminierungen und Probleme halten, darüber Bücher schreiben und in TV-Talkshows sitzen – ist Christian Specht einer der letzten linken Aktivisten, also einer, der sich zwar von anderen das Mittagessen bezahlen lässt, aber immer nur Unterschriften, nie Geld sammelt.

Er würde zu gern mal zu STUDIO 3

In einer TV-Talkshow saß er noch nie. Aber im Fernsehen schaut er sowieso lieber Musikantenstadl als Polittalk.

Christian Specht ist seit 1987 bei der taz. „Er kam, setzte sich und blieb“ wie ein Kollege anlässlich des 45. Geburtstages von Specht so schön schrieb. Schreiben ist Spechts Ding nicht. Er ist zwar seit fast 40 Jahren bei der taz, aber er hat noch keine einzige Zeile selbst verfasst. Er lässt verfassen.

Immer montags erscheint ein „Specht der Woche“, ein Bild, das aktuelle politische und gesellschaftliche Themen illustriert, mit einem Text von Christian, den – meistens eine Praktikantin – protokolliert. Denn Christian kann wegen einer angeborenen Beeinträchtigung nicht lesen und schreiben. Behauptet er.

Mitwirkung in den Medien

Doch es ist ein schlecht gehütetes Betriebsgeheimnis, dass Christian Specht möglicherweise einfach nur zu faul dafür ist. Beziehungsweise ihm seine Zeit dafür zu kostbar. Denn er muss sich ja einsetzen. Für andere.

Waren es früher die Großkonflikte der Welt und der Linken, hat er sich in den letzten Jahren auf Kampagnen für Menschen mit Beeinträchtigungen konzentriert. Er setzt sich beispielsweise dafür ein, das sie mehr Mitwirkungsmöglichkeiten in den Medien bekommen. Seit 2017 ist Christian Specht der erste Mensch mit Beeinträchtigung, der im Vorstand der Lebenshilfe Berlin ist.

2020 gründete er gemeinsam mit anderen das Berliner Behindertenparlament, das sich mittels Anträgen an den Senat für Menschen mit Behinderung einsetzt. Im Dezember 2022 tagte es im Abgeordnetenhaus. Viele sahen Christian Specht dabei zum 1. Mal im Jackett.

Am 7. November nun erhält Christian Specht die Berliner Ehrennadel für außerordentliches ehrenamtliches Engagement. Wir fragen uns: Wieso hat er die nicht schon längst bekommen? Herzlichen Glückwunsch, lieber Christian!